Die Frage, wie sich das anfühlt, in einen anderen Menschen geboren zu sein, habe ich mir ungeplant im Urlaub gestellt.
Als ich an einem weiteren sommerlich warmen Abend zum Strand hinunter bin, um den Sonnenuntergang einzufangen.
Mit dem Verblassen des Tageslichts, gingen teils gleichzeitig, teils nacheinander auch die Lichter der umliegenden Restaurants, Wohnungen und Häuser an.
Mittendrin blitzen rote und weiße Lichter auf, niedlich hin und her schwingend. Und die vermeintlich im Rhythmus der Musikfetzen, die von der Promenade her zu mir an den Strand getragen wurden oder im selbigen Takt der Wellen hin und her schwangen.
Es waren die Positionslichter der größeren Boote und Yachten, die es sich in der Bucht und am kleinen Hafen zur Einkehr gemütlich gemacht hatten. Wie einer Einladung folgte ich den Lichtern und stand plötzlich mittendrin. Mittendrin in einer anderen Welt.
Ich musste mich nicht erst in die Perspektive denken, dass ich die Person „da draußen“ war und diese Menschen „da drinnen“.
Unterschiedliche Welten.
Vielleicht war auch ich die Person drinnen und sie draußen. Egal, ich stand vor der Reling, vor Booten, die, ähnlich der Positionslichter, ebenfalls in Position gesetzt waren. Schick, hell erleuchtet und glitzernd standen sie majestätisch da, strotzend vor Größe. Sie waren teils größer als meine Wohnung, eins größer als alle meiner kleinen Wohnungen zusammen, die ich jemals bewohnt hatte, würde man sie Quadratmeter-technisch aufaddieren. Boote und Yachten größer als mein Elternhaus.
Angefangen über die pompöse Beleuchtung bis hin zu den irre glänzenden edlen Fasern aller verarbeiteten Materialien: Alles war vom Allerfeinsten. Veredlung in Perfektion in Fenster, Türen, Böden, Möbeln, Loungemöbeln, Gardinen, Kissenbezügen und ich schmunzele, wenn ich mich frage, aus welchem Material wohl das Klopapier sein wird :-)!?
Und als wäre es nicht an sich schon ’ne tolle Nummer, mit so einem Prachtexemplar die Weltmeere unsicher zu machen, geht es doch noch immer weiter und höher. Und ich staune nicht schlecht zu sehen, dass der eine oder andere sich noch einen extravaganten Whirlpool aufs Unterdeck hat einbauen lassen.
Perfekt in Szene gesetzt in Augenhöhe der flanierenden Spaziergänger oder in diesem Fall eher Zuschauern, zu denen auch ich mich zählte.
Andere hatten noch ein kleines Beiboot hinten drauf, wohlgemerkt neben Jetskis, Stand-up-Paddeln und anderen Water-Toys und ich schmunzele schon wieder, lach, denn selbst das niedliche Beiboot wäre ein Träumchen für den durchschnittlichen Normalverdiener:-)
Es ist nicht Neid oder ist es Neid, was da gerade in mir hochkommt?
Dazu müsste ich das Gefühl in mir noch einmal genau sortieren und analysieren. Es ist ein wenig wie: Wow, die haben es geschafft! Oder die berechtigte Frage, wie haben die das geschafft?
Vielleicht auch: nice to have rich parents! Tja, hat wohl einer Glück gehabt im Leben, oder? Vielleicht auch Glück im Spiel: Jackpot beim Lotto? Hüstel … Steuerhinterziehung?!?
Oder auch: da hat jemand richtig, gut und viel und hart für gearbeitet, um sich diesen Traum zu erfüllen und zu leben.
Ich stehe schon sehr, sehr ehrfürchtig davor, sage ich ganz ehrlich.
Ehrfürchtig, aber eher kombiniert mit der Frage: sehe ich mich da, will ich das haben, bin ich das, möchte ich die Person sein, der das gehört oder die allein so etwas chartern kann? Vielleicht kann man das Vergleichen mit dem Ballast des Lebens, mit diesem riesigen Köfferchen, das man ohnehin schon mit sich herumschleppt.
Ich bin dankbar für meine kleine, übersichtliche Wohnung, die auch schon genügend Platz zum Sammeln gibt. Sowie dem kleinen Dachboden, dem ich nicht Herr werde, weil auf ihm in erster Linie Erinnerungen platziert sind, die zu einem anderen Zeitpunkt bereit sind, wieder ausgegraben zu werden, aber momentan auch nicht weg dürfen.
Verglichen mit den Yachtbesitzern und deren ganzen anderen weltweiten, wichtigen „Places to be“ plus weiteren Haupt- und Nebenwohnungen lebe ich in einem schnuckeligen Mikrouniversum.
Ein Bööötchen ist nicht wie ein schweres Gewicht am Fuß, aber da steht was, das möchte bedient, gelebt werden. Ein Boot steht für mindestens zwei Koffer, die im Leben mitgeschleppt werden müssen. Getragen, geputzt, bezahlt werden, da müssen Leute beschäftigt sein, die sich drum kümmern. Es ist nichts, bei dem man alleinig, ohne Unterstützung, in seinem Universum Hand anlegen kann. Man ist angewiesen auf viele, viele Helfer. Personal, loyales Personal. Man hat weniger Privatsphäre, es gibt so viele Faktoren und ich frage ich: Möchte ich das haben, würde ich mich da wohlfühlen?
Und als wir diesen einen Tag im Urlaub an diesen wunderschönen Strand wollten, um einen neuen Ort kennenzulernen, weil ich eben den Mix zwischen bekannten, heimeligen und auch Neuem so liebe, wurde ich dann doch nochmals enttäuscht.
Enttäuscht von der Location, aber nicht den Inspirationen und Gedanken, die mir dieser Ort neu in den Kopf gesetzt hat. Und wenn ich mir vorstelle, ich hab’ da so ’ne Yacht, die ich mit mir herumschleppe … hmmmm …
Gut, ich hatte nicht richtig gelesen oder wichtiges überlesen: Der Strand war in den sozialen Medien und auf Bildern und im Reiseführer gehyped. Ich sofort Feuer und Flamme, so wollte ich doch schon immer dorthin.
Es stand sicherlich irgendwo, dass es ein steiniger Strand ist, es stand auch sicherlich irgendwo und das sagt auch der normale Menschenverstand: dass dieser kleine Strand im Sommer überfüllt ist. Sicherlich stand auch irgendwo, dass der kleine Bach oder See, der dieses Gebiet zwischen Meer und Strand nochmals einkreist, nur je nach Jahreszeit und damit verbundenem Trockenheitszustand sichtbar wird. Entweder in strahlendem Azur-blau oder samtigen Schlamm-braun und zeitlich gesehen eher Richtung Frühling, Herbst und nicht im Hochsommer …
Nun gut, ich hatte nun Zeit, als ich auf diesem unbequemen Steinstrand saß, (liegen war schwierig, mimimiiii) mir die prächtigen Yachten anzuschauen, die genau vor der winzig kleinen, angeblich so traumhaften schönen Bucht vor Anker lagen.
Definitiv ein toller Platz für die Yachtbesitzer verbunden mit einer herrlichen Aussicht inklusiver aller Annehmlichkeiten und mehr als konträr als von meinem steinigen „point of view“ aus.
Ein heimlicher oder offensichtlich ausgetragener Konkurrenzkampf, da wetteiferte eine Yacht neben der anderen mit dem Anspruch: höher, weiter, größer, schneller, teurer. Mittendrin auch die irre Yacht aus dem Hafen, die mit dem Whirlpool, die größte auch in dieser Bucht.
Ich musste schmunzeln, sie erfüllte den Anspruch von Arroganz und Dekadenz zugleich: volles Platzhirschgehabe, zum einen der Platz mittendrin, mit bestem Blick und bester Lage, was sonst sowie richtig cooler summervibes Mucke aus einer Hightech-Anlage mit professioneller Konzertqualität.
Anfangs fand ich es erfrischend cool, tolle Stimmung, dann kam das zweite Lied, das gefiel mir schon nicht mehr. Und sogleich der Gedanke: „Hey, mach doch die Musik leise, finde ich jetzt gerade doch nicht so cool deine Beschallung.“
Nicht zu vergessen, alle wurden beschallt, trotz oder gerade wegen des öffentlichen Platzes, mit Familien, alten Leuten, jungen Leute, mit den Restaurants und kleinen Bars. Vielleicht auch ein genau dran nebenliegender Bootsausflügler, der das Rauschen von Wind und Meer und das wie ein sanftes Mantra beruhigende Klatschen der Wellen an den Bootsbug genießen mag.
Eventuell auch der eine oder andere Natur und Stille suchende Wanderer, der dieses Fleckchen der Natur mit Ruhe und Besonnenheit erkunden möchte. Menschen, die hier in dieser Bucht Stille suchen. (Doppel-Lach:-))
Gut, aber wer’s kann, der kann’s und ich bin auch kein Spießer, aber mir kam die Überlegung: Was wäre, wenn ich einer dieser Personen auf dem Boot wäre?
Wäre ich ein anderer Mensch, ein komplett anderer? Was würde das bedeuten?
Hätte ich die gleiche Erziehung genossen, eine bessere, eine schlechtere? Hätte ich die gleichen Werte wie heute, gleichen Charakter? Wäre ich noch liebevoller, disziplinierter, diplomatischer, ehrlicher, engagierter, hilfsbereiter, leidenschaftlicher, gewissenhafter und aufrichtiger? Vielleicht auch arroganter, oberflächlicher, frecher, introvertierter, unfairer, selbstbestimmter?
Welch ein Gedanke, in eine andere Rolle zu schlüpfen und zu überlegen, was das mit einem machen würde und könnte. Wäre ich der gleiche Mensch, also das gleiche Innere und nur das Äußere, das Drumherum ist ein anderes? Oder macht das Äußere etwas mit einem?
Geld verdirbt den Charakter, den Spruch haben wir alle schon mal gehört, nicht wahr? Das muss aber nicht sein. Nichts ist in Stein gemeißelt.
Ich fand den Gedanken spannend und habe mir überlegt, wie ich mich fühlen würde, wenn ich eine der Personen auf der Yacht wäre? Wie würde ich mich just in diesem Moment verhalten?
Was würde ich ausleben? Gäbe es eine Seite an mir, die dann besonders herauskommt, ja schon immer in mir geschlummert hat, aber nie Zeit und Raum hatte gelebt zu werden? Wäre ich die Person, die ich insgeheim immer sein wollte, dies aber nie so ausleben konnte aufgrund vieler Umstände.
Hätte ich die gleichen Ängste, dieselben Werte, dieselben Ansichten, wäre ich der Herzmensch, der ich jetzt bin, hätte ich die gleichen Bedürfnisse und Vorstellungen? Wie sähen meine Freunde aus, wie meine Familie, wie würde man mich, meinen Charakter, meine Person beschreiben? Genauso, wie jetzt?
Würde ich jemand anders sein, weil ich hätte wachsen können, über ein Maß hinaus, das mir mein aktueller weltlicher Rahmen (ich spreche hier auch ein bewusst von finanziellen Dimensionen) nicht ermöglicht.
Spannender Gedanke. Lebt und erfüllt man die Erwartungen von außen automatisch, ohne dies bewusst und selbstbestimmt zu wollen?
Beispiel 1: Spritztour in einem Porsche, der nicht mein eigener ist
Sitze ich aufrechter, erhabener, glücklicher, erfüllter, selbstbewusster, cooler als in einem altem Fiat Cincequento? (Gut, der könnte Kultstatus haben, also verwenden wir vielleicht das Wort Rostschüssel, um den Vergleich glasklar zu machen:-))
Beispiel 2: Kleider machen Leute
Ist mein Gang aufrechter, ziehe ich mehr Blicke in meinem Bann in einem schicken Kostüm oder Kleid? Wirke ich seriöser, geschäftsfähiger, intelligenter, wohlhabend, automatisch gebildeter, gesellschaftlich akzeptierter?
Wäre ich noch die, die ich jetzt bin, nur in einem anderen Umfeld? Mhmm, ich denke nicht oder eher nur bedingt. Eine gewisse Grund-DNA wäre da, aber wir alle werden vom Außen beeinflusst. Beeinflusst, wie wir aufwachsen und erzogen werden.
Und Chapeau dem, der auch in dem minimalistischen oder exorbitantesten Universum aufwächst und trotzdem ein ausgeglichener, solider, ehrlicher und fairer Charakter bleibt, hoffnungsvoll, positiv denkend, lebensbejahend, wertschätzend und auf dem Boden geblieben.
Es ist, wie es ist.
Sich hineinzudenken in andere schadet nicht. Im Gegenteil, es ist spannend und wichtig, sich und andere immer wieder selbst zu reflektieren.
Es unterstützt auch, auf den Boden der Tatsachen (zurück) zukommen: Herauszuhören, was wünscht man sich, was eher nicht. Zwischenbilanz zu ziehen: Was hat mal alles erreicht, was (noch) nicht?
Auch in die Akzeptanz zu gehen und es toll zu finden, dass andere Menschen anderes leben und trotzdem oder genau deswegen superglücklich nach Hause zu gehen, mit dem, was man selbst hat.
Selbstreflexion und das Hineinschlüpfen in andere Rollen ist ungemein wichtig in der heutigen Zeit. Es gibt genügend Menschen, die nicht merken, wenn sie Grenzen überschreiten und mit ihrem Verhalten anderen Menschen wehtun.
Wenn plötzlich aus einer gewissen Gruppendynamik heraus, sei es auf der Arbeit, im Freundeskreis oder aus einem anonymen Raum Unbehagen erschaffen wird.
Es lohnt sich immer in eine andere Sicht, in eine andere Rolle zu schlüpfen und sich zu fragen: Wie fühle ich mich, wenn ich der andere wäre? Gefällt mir das, was mein Gegenüber macht?
Übrigens: es gibt eine einfache Antwort auf diese Frage mit der simplen Gegenfrage: „Wie möchte ich selbst von anderen behandelt werden“!?
Und Fazit zu meinem Blogeintrag heute: Ich bleibe vorerst bei der kleinen Wohnung, würde aber eine Einladung zu einem Yacht-Ausflug nicht ausschlagen 🙂
Obwohl dann vorab ein Shopping-Trip mit der Freundin für die benötigte „On Board-Grundausstattung“ notwendig wäre 🙂
Happy Sunday!
Herzlichst, Betzie
(* Wenn sich einer fragt, welchen Strand ich beschrieben habe: Sa Calobra/ Torrent de Pareis)
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